Finanzen

Governance

Das Generationen Budget – Wellbeing für Jung bis Alt

Die staatliche Finanz- und Budgetpolitik muss neu gedacht werden. Seit 3'000 Jahren hat sie sich kaum geändert – sie bleibt ein Relikt aus der Römerzeit. In diesem Blog stellen Kevin Andermatt und Sandro Fuchs den Wellbeing-Ansatz von Neuseeland vor.

16.02.23


Ein Beitrag von Kevin Andermatt und Sandro Fuchs

In der Schweiz wird in den kommenden Jahrzehnten der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung weiter steigen. Dieser demografische Wandel führt zu sich ändernden Bedürfnissen an das staatliche Leistungsangebot und stellt Fragen nach deren Finanzierung. Herausforderungen ergeben sich daraus insbesondere für das gesellschaftliche Zusammenleben, die Wirtschaft und für die öffentliche Gesundheit.

Gleichzeitig verändern sich die Bedürfnisse der jüngeren Generation. Die Generation Z ist inklusiver, agiler, träumt nicht mehr ausschliesslich von steilen beruflichen Karrieren, sondern von einem ausgewogeneren Leben in einer friedlichen Gesellschaft und intakter Umwelt (vgl. Credit Suisse Jugendbarometer, 2022).

Doch wie kann sichergestellt werden, dass die Bedürfnisse der jüngeren Generation in einer immer älter werdenden Gesellschaft mitberücksichtigt werden? Die Mehrheit der Personen, die in der Schweiz abstimmen gehen, ist über 55 Jahre alt (SRF News, 2015). Daran wird vermutlich auch ein Stimmrechtsalter 16, wie es aktuell diskutiert wird, wenig ändern.

Gemeinden und Kantone sind bereits heute gefordert, den Balanceakt zwischen Investitionen in die zukünftigen Generationen und Ausgaben für die Bedürfnisse der älteren Generationen zu meistern. Dies erfolgt in aller Regel wenig systematisch und datenbasiert. Es fehlt an einer gemeinsamen Vision, Steuerungsgrössen und einem neuen Ansatz, wie der staatliche Budgetprozess gestaltet werden kann.

Ein Wellbeing Budget für mehr Lebensqualität von Jung bis Alt

Ein innovatives Instrument der Finanzplanung, das beim Austarieren der altersbedingten Bedürfnisse helfen kann, ist das Konzept des Generationen Budgets, das in Neuseeland als Wellbeing Budget bekannt wurde. Diesem liegt die Idee zugrunde, staatliche Ressourcen konsequent auf die Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung und zukünftiger Generationen auszurichten – dies auf Basis von Daten und wissenschaftlicher Erkenntnis (Evidence Based) und nicht rein nach politischen Ambitionen (Anderson & Mossiales, 2019).

Um die Zukunft nachhaltig zu gestalten, geht Neuseeland von vier «Kapitalarten» (Capitals) aus:

  • Natural Capital: Dazu gehört die ökologische Umwelt in all ihren Facetten wie Land, Wasser, Tiere, Pflanzen, Biosphären etc.
  • Human Capital: Dazu gehört die Gesundheit der Bevölkerung, das Wissen und die Fähigkeiten der Menschen.
  • Social Capital: Dazu gehören soziale und institutionelle Errungenschaften, Gesetze und Regeln, sowie die gesellschaftliche Identität.
  • Financial and Physical Capital: Dazu gehören öffentliche und private Infrastruktur, materielle und finanzielle Grundlagen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.

Durch diese «Capitals» gedeiht und entwickelt sich gesellschaftlicher Wohlstand über die Zeit. Gesellschaftlicher Wohlstand muss aber definiert und gezielt entwickelt werden. Es braucht langfristige Investitionen, die über verschiedene Ministerien und Budgeteinheiten koordiniert werden müssen.

Das Wellbeing Budget von Neuseeland orientiert sich an folgenden fünf Dimensionen von Wohlstand und setzt entsprechende Investitionsschwerpunkte:

  • Gerechter Wandel: Unterstützung des Wandels hin zu einer resilienten, nachhaltigen und emissionsarmen Wirtschaft
  • Körperliches und geistiges Wohlbefinden: Verbesserung des Gesundheitszustands aller Bürger:innen
  • Zukunft der Arbeit: Befähigung aller Bürger:innen und Unternehmen von neuen Technologien zu profitieren und durch Innovationen die Produktivität und Löhne zu steigern
  • Indigene Völker: Anhebung der Einkommen, Fähigkeiten und Chancen der Maori und der pazifischen Völker; unter anderem durch Zugang zu erschwinglichen und sicheren Wohnungen
  • Wohlergehen von Kindern: Verringerung der Kinderarmut und Verbesserung des Wohlergehens von Kindern; unter anderem durch Zugang zu erschwinglichem und sicherem Wohnraum

Das Wellbeing Budget setzt ein Umdenken bei der Budgetierung und der Wahl von Steuerungsgrössen voraus. Der Fokus auf traditionelle Grössen wie Budgetabweichung, Steuerkraft oder BIP-Wachstum als Legitimation für eine gelungene staatliche Investitionspolitik reichen hier nicht mehr aus. Am Ende will man wissen, ob staatliche Investitionen die Lebensqualität von Jung bis Alt in all ihren Facetten erhöhen.

Die Definition solcher Indikatoren ist jedoch alles andere als trivial. Dem Wellbeing Budget für Neuseeland steht ein vielschichtiges Indikatorensystem zu Grunde (Living Standards Framework), auf das sich Verwaltung und Politik geeinigt haben. Es wird laufend aktualisiert und ist die Basis für die Budgetprioritäten von Neuseeland.

Ein Wellbeing Budget vereint verschiedene Dimensionen, Indikatoren und Zusammenhänge: Es braucht ein gemeinsames Verständnis, was Wohlergehen bedeutet, wie es heute und in Zukunft gemessen werden kann, welche Indikatoren und Daten verfügbar sind, wie Fortschritt erkannt und neue Budgetprioritäten abgeleitet werden können.

Ein Wellbeing Budget für die Schweiz?

Ein Wellbeing Budget wie in Neuseeland gibt es in der Schweiz bis heute nicht. Die Budgets und Finanzplanungen der Gemeinden oder Kantone sind immer noch stark institutionell geprägt, und nehmen selten Bezug zu einer gemeinsamen Entwicklungsvision, die auf objektiven Indikatoren basiert. Die Abstimmung zu Legislaturprogrammen geschieht selten systematisch.

Standortentwicklung.ch hat ein Modell und Indikatorensystem definiert, das als Grundlage für eine nachhaltige Standortentwicklung und Finanzplanung dienen könnte und viele Ideen des Wellbeing-Ansatzes aus Neuseeland vereint.

Abbildung 1: Modell für systemische Standortentwicklung (Quelle: standortentwicklung.ch)

Das Modell dient als Ansatzpunkt für eine nachhaltige Standortentwicklung und stellt eine gute Ausgangslage dar, um die politische und finanzielle Planung öffentlicher Körperschaften ganzheitlicher und systemischer zu gestalten und dabei die Bedürfnisse von verschiedenen Anspruchsgruppen konsequent mitzuberücksichtigen.

Gleichzeit muss aber auch die politische und finanzielle Planung neu gedacht werden:

  • Wie kann das Silodenken in der Verwaltung überwunden werden?
  • Wie können Ämter und Departemente besser zusammenarbeiten?
  • Wie kann der aktuell tiefe Anteil an frei verfügbaren Ausgaben auf die strategische Entwicklung der Gemeinde und das Wohlbefinden der Bevölkerung ausgerichtet werden?
  • Wie kann das Budget besser auf Visionen und Legislaturprogramme ausgerichtet werden?

Diese Fragen zeigen, dass die Idee des Generationen Budgets tiefergreifende Reformen der Finanzplanung und des Verwaltungshandelns erfordert.


Kevin Andermatt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZHAW-IVM Institute of Public Management

Dr. Sandro Fuchs ist Dozent und Fachstellenleiter am ZHAW-IVM Institute of Public Management


Dieser Beitrag erschien zuerst auf standortentwicklung.ch.