Digitalisierung

Die digitale Transformation der Schweizer Verwaltung braucht einen Kompass – Anmerkung zum Strategie-Entwurf «Digitale Verwaltung Schweiz 2024-2027»

Für die digitale Transformation der Schweizer Verwaltung sind bestehende Denkgewohnheiten und eingespielte Handlungsmuster zu verändern. Dafür braucht es eine ergebnisoffene Diskussion über ein interföderal vernetztes Geschäftsmodell. Dieses kann als gemeinsame Verständigungsgrundlage für die serviceorientierte Modernisierung des öffentlichen Sektors dienen. Genau dafür muss die «Strategie Digitale Verwaltung Schweiz (2024-2027)» jetzt den Anstoss geben.

14.07.23


Ein Beitrag von Marc Schaffroth

Durchgängigkeit und Vernetzung als Strategieziele

Die nationale Rahmenorganisation Digitalen Verwaltung Schweiz (DVS) hat kürzlich den Entwurf zum Update der Strategie «Digitale Verwaltung Schweiz» für die Jahre 2024-2027 veröffentlicht.1 In Kapitel 2 Leitbild sind folgende Modernisierungspostulate aufgeführt:

  • Den «Anspruchsgruppen» wird eine nahtlose, «effektive, transparente und sichere digitale Interaktion mit der öffentlichen Verwaltung» versprochen (Strategieentwurf, S.5).
  • Zu diesem Zweck sollen die in einem «Gesamtsystem» vernetzten Verwaltungen «ihre digitalen Behördenleistungen durchgängig in digital ausgerichteten, nutzerzentrierten Prozessen erbringen» (Strategieentwurf, S.5).

Rechtsstaatliche und föderale Strukturen als Herausforderung

Die Schlüsselfrage, wie die vielfältigen Organisations-, Prozess- und IT-Silos unter Wahrung von rechtsstaatlichen und föderalen Anforderungen in ein Gesamtsystem durchgängiger Behördenleistungen und nahtloser Interaktionen verwandelt werden können, bleibt indessen unbeantwortet. Tatsächlich fehlt es am dazu erforderlichen Verständnis. So führt das vorgelegte Strategie-Update zum Schluss, dass bei DVS sowohl die strategische als auch die methodische Bedeutung von Geschäftsmodellen als «do-or-die-Imperativ» (Gartner Group) der digitalen Transformation verkannt wird.

Lösungsansatz: Denken und Handeln in Geschäftsmodellen

Was die Gartner Group für die Wirtschaft schreibt, dürfte auch für die Verwaltung zutreffen: «It all starts with business model change». «[B]usiness model transformation is crucial to its success».2 Geschäftsmodelle stehen für eine Gesamtsicht organisatorischer Gestaltungsdimensionen der digitalen Transformation. Sie setzen Anspruchsgruppen, öffentliche Leistungen und behördenübergreifende Wertschöpfung in Beziehung zur Vision, dem Leitbild und der digitalen Transformationsstrategie. Dadurch schaffen sie einen gemeinsamen handlungsleitenden Kompass sowie ein Referenzmodell für deren Umgestaltung.

Service Ecosystem- statt Insel-Government als Umsetzungsprinzip

Mit dem eCH-Referenzmodell Vernetzte Verwaltung Schweiz3 liegt bereits ein Geschäftsmodell für die Schweizer Verwaltung vor. Es legt dar, wie sich die Zuständigkeitssilos der öffentlichen Verwaltung durch die behördenübergreifende Orchestrierung von öffentlichen Leistungen zu kundenzentrierten Smart Services operativ überbrücken und transformieren lassen. Die konzeptionellen Eckpunkte zum eCH-Referenzmodell werden im Übrigen im Artikel Welche und wie viele Geschäfts-modelle braucht es für die Digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung – 45+ St. Galler-Service Modelle oder 1+ interföderales Geschäftsmodell von eCH?4 erörtert.

Proof of Concept und Konsolidierung als nächste Schritte

Die strategischen und methodischen Vorzüge sowie die Praxistauglichkeit des eCH-Referenzmodells lassen sich problemlos im Rahmen eines Proof of Concept mit den bereits etablierten Vorzeigeportalen wie EasyGov, eUmzugCH oder eBau verifizieren und konsolidieren. Dadurch können wertvolle Erkenntnisse insbesondere für die dringend benötigte E-Government Architektur Schweiz5 gewonnen werden. Auf die folgenden Pluspunkte sei im Besonderen hingewiesen:

  • Kundenorientierung durch behördenübergreifende Service-Orchestrierung
  • Flexibilität, Agilität und Resilienz durch modulare Leistungsarchitekturen
  • Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit durch leistungs- und prozessübergreifend wiederverwendbare Geschäftskomponenten und IT-Bausteine

Bund, Kantone, Städte und Gemeinden warten darauf, sich über eine «verwaltungsübergreifende Gesamtarchitektur» verständigen zu können (vgl. Strategieentwurf, S.16).

Es liegt nun an der Rahmenorganisation DVS, die digitale Transformation auf der Grundlage eines interföderalen Geschäftsmodells und einer entsprechenden Service Ecosystem-Architektur gesamtschweizerisch als strategischen Kompass zu lancieren.

1 Vgl. Link auf den aktuellen Konsultationsentwurf Strategie «Digitale Verwaltung Schweiz 2024-2027» (Stand: 30.03.2023) in der News-Meldung von Digitale Verwaltung Schweiz vom 28.06.2023 zu den Traktanden der Sitzung des politischen Führungsgremiums DVS (23.06.2023)

2 Vgl. Gartner Group: Mobilize Every Function in the Organization for Digitalization (2018)

3 Vgl. eCH-0126 Rahmenkonzept Vernetzte Verwaltung Schweiz (2.0) (2013), Management-Version, Fachdokument, Präsentation

4 Vgl. Schaffroth, Marc (2023) Welche und wie viele Geschäftsmodelle braucht es für die Digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung – 45+ St. Galler-Service Modelle oder 1+ interföderales Geschäftsmodell von eCH?

5 Vgl. Umsetzungsplan 2022-2023 E-Government Schweiz


Marc Schaffroth, Co-Autor von eCH-0126 Rahmenkonzept Vernetzte Verwaltung Schweiz, arbeitete bis Juli 2021 beim Bereich Digitale Transformation und IKT-Steuerung DTI (Schweiz. Bundeskanzlei). In seinen Funktionen als Geschäftsarchitekt, Prozess- und Informationsmanager hat er u.a. Standardisierungsfachgremien von eCH geleitet.