Co-Creation
Die Verbreitung von Co-Creation in Schweizer Gemeinden
Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie verbreitet die Verwendung von «Co-Creation» in Schweizer Gemeinden ist und warum machen Gemeinden diese Instrumente stärker nutzen als andere.
Ein Beitrag von Jörn Ege und Claire Kaiser
Was bedeutet «Co-Creation von öffentlichen Leistungen»?
Co-Creation (vgl. auch Co-Production) ist eine Form der öffentlichen Leistungserbringung, bei dem die öffentliche Verwaltung (bzw. öffentliche Organisationen) und Bürger:innen/Nutzer:innen bei der Planung und Erbringung dieser Leistungen eng zusammenarbeiten und so «die Fähigkeiten und Ressourcen des jeweils anderen besser zu nutzen, um bessere Ergebnisse und eine höhere Effizienz zu erzielen» (Bovaird & Loeffler, 2012, S. 1121, eigene Übersetzung). Co-Creation geht damit über traditionelle Formen der Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungen hinaus und beinhaltet intensivere Formen der Zusammenarbeit während der tatsächlichen Leistungserbringung.
Folgendes Beispiel aus der Stadtbibliothek in Rapperswil-Jona veranschaulicht ein solches Co-Creation-Projekt:
«Aus dem Altersforum sind Frauen auf mich zugekommen. Sie haben gesagt, dass es sie schon lange stört, dass es in der Bibliothek kein Café mehr gibt. Es gab mal einen privaten Betreiber, aber der konnte sich nicht halten. Diese Frauen vom Altersforum haben dann mit Unterstützung der Stadt den Verein «Bistro Stadtbibliothek» gegründet und dieses Projekt läuft jetzt schon seit einem Jahr. Die Anschubfinanzierung kam von der Stadt und diese zahlt auch die Miete, aber alles wurde auf Freiwilligenbasis selbst organisiert – vom Geschirr bis zu den Kaffeemaschinen.» (Undine De Cambio, Leiterin Fachstelle Alter und Gesundheit in Rapperswil-Jona, Bistro Stadtbibliothek https://www.stadtbibliothek-rj.ch/angebot/bistro)
Neben seiner praktischen Relevanz ist Co-Creation ein Schlüsselelement in vielen Public-Management-Konzepten (z. B. Design Thinking, Collaborative Governance oder Agilität). Der digitale Wandel – insbesondere neue digitale Lösungen, die durch die COVID-19-Pandemie befeuert wurden – hat die Möglichkeiten von Co-Creation weiter verstärkt. Die Entstehung neuer Formen der virtuellen Interaktion und neuer digitaler Dienste erlauben eine breite Beteiligung zu relativ geringen Kosten. Dies macht Co-Creation zu einem der meistdiskutierten Konzepte der letzten Jahre, dessen praktische Anwendung und Wirksamkeit für Forschung und Praxis gleichermassen von grosser Relevanz ist.
Über die Bedeutung und empirische Verbreitung des Konzepts liegen bisher jedoch nur begrenzte Erkenntnisse vor. Systematische Erhebungen, insbesondere auf Gemeindeebenen, wurden bisher nur selten durchgeführt. Studien, die Co-Creation auf der lokalen Ebene untersuchen, fokussieren meist auf Städte und Gemeinden in Ländern mit einer angloamerikanischen oder skandinavischen Verwaltungstradition. Für Länder mit germanischer Verwaltungstradition (Peters, 2021) wie die (Deutsch)Schweiz ist jedoch kaum systematisches Wissen über die tatsächliche Relevanz von Co-Creation vorhanden.
Datengrundlage
Um die Verbreitung von Co-Creation zu untersuchen, nutzen wir die aktuellen Daten des Schweizerischen Gemeindemonitorings aus dem Jahr 2023. Das Gemeindemonitoring ist eine schriftliche Befragung der Schweizer Gemeinden, die in regelmässigen Abständen durchgeführt wird (Ladner et al., 2021). Die Befragung umfasst alle 2.136 politischen Gemeinden der Schweiz (per 1.1.2023) in den vier Sprachregionen. Aufgrund der hohen Rücklaufquote von 83 Prozent (1.771 von 2.136 Gemeinden) lassen sich zuverlässige Aussagen über die Verbreitung von Co-Creation in der Gesamtschweiz machen.
Die hier verwendeten Daten wurden durch eine Befragung der Gemeindeschreiber:innen erhoben. Diese Personen verfügen über ein hohes Mass an Wissen über kommunale Angelegenheiten und sind wahrscheinlich die am besten informierten Person innerhalb der Verwaltung, wenn es um strategische und operative Fragen über die Verwendung von Co-Creation in ihrer Gemeinde geht.
Erhebung von Co-Creation
Je nach Art der Teilnehmenden (Nutzer:innen oder Bürger:innen), dem Grad der Beteiligung (Einzelpersonen, Gruppen, das Kollektiv) oder der Phase im Servicezyklus, in der Co-Creation stattfindet, werden in der Literatur verschiedene Formen von Co-Creation unterschieden (vgl. Nabatchi et al., 2017). In der hier beschriebenen Studie unterscheiden wir drei Arten von Co-Creation: «Mit-Entwicklung», «Mit-Umsetzung» und «Mit-Bewertung».
«Mit-Entwicklung» findet zu Beginn des Servicezyklus statt und bezeichnet Aktivitäten, die die Erfahrungen der Nutzer:innen in die Erstellung, Planung oder Gestaltung öffentlicher Dienste einbeziehen. Unter «Mit-Umsetzung» versteht man gemeinsame Aktivitäten zwischen der lokalen Verwaltung/öffentlichen Organisationen und den Bürger:innen, «die dazu dienen, öffentliche Dienstleistungen direkt zu erbringen und/oder die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen zu verbessern» (Nabatchi et al., 2017, S. 772, eigene Übersetzung). Schliesslich konzentriert sich «Mit-Bewertung» auf das Monitoring und die Beurteilung öffentlicher Leistungen, was vom gezielten Einholen von Nutzer:innen-Feedback bis hin zur gemeinsamen Untersuchung der Ergebnisse eines bestimmten öffentlichen Dienstes reichen kann.
Die Gemeindeschreiber:innen wurden im Gemeindemonitoring gefragt, ob eine oder mehrere dieser drei Instrumente in ihrer Gemeinde in den letzten fünf Jahren eingesetzt wurde, um Bürger:innen bei der Gestaltung kommunaler Leistungen oder Projekte mit einzubeziehen. Ausserdem wurde den Befragten die Möglichkeit gegeben, Aussagen über die Häufigkeit der Nutzung jeder dieser Instrumente («1x», «2-3x» oder «häufiger») zu machen. Durch eine gewichtete Addition der Antworten wurde ein einfacher Index erstellt, der die Nutzung von Co-Creation in jeder Gemeinde abbildet. Der Index reicht von 0 (keine Nutzung von Co-Creation-Instrumenten) bis 9 (sehr starke Nutzung).
Wie verbreitet ist Co-Creation in der Schweiz?
Es zeigt sich, dass Co-Creation in etwa 40% der Kommunen überhaupt nicht genutzt wird. Weiterhin belegen die Daten, dass Co-Creation vor allem in Form von «Mit-Entwicklung» praktiziert wird. «Mit-Umsetzung» und «Mit-Bewertung» werden dagegen nur in etwa einem Viertel der Schweizer Gemeinden eingesetzt.
Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht die geografische Verteilung der Co-Creation-Praktiken in den Schweizer Gemeinden. Die Karte zeigt den Co-Creation-Index, der die drei Dimensionen kombiniert. Demnach wird Co-Creation in der Deutschschweiz im nordöstlichen Teil der Karte besonders ausgeprägt praktiziert.
Welche Gemeinden nutzen Co-Creation?
Neben der generellen Nutzung und geografischen Verbreitung von Co-Creation-Instrumenten in Schweizer Gemeinden stellt sich die Frage, warum manche Gemeinden Co-Creation stärker nutzen als andere Gemeinden. Um diese Frage zu beantworten, wurden mit einem statischen Modell eine multivariate Analyse durchgeführt. Die verwendete ordinale logistische Regression zeigt, dass vor allem vier Faktoren eine wichtige Rolle dabei spielen, um Unterschiede zwischen den Gemeinden zu erklären:
- Gemeindegrösse: Je grösser eine Gemeinde ist, desto stärker wird Co-Creation genutzt.
- Interesse der Bürger:innen an Lokalpolitik: Je grösser das Interesse der Bürger an lokalen Angelegenheiten ist, desto mehr wird in der Gemeinde von der Mit-Umsetzung und Mit-Bewertung Gebrauch gemacht (allerdings ist dieser Effekt nur auf einem Signifikanzniveau von 0.1 signifikant).
- Sprachregion: Co-Creation wird besonders stark in der Deutschschweiz genutzt, weniger hingegen in der französischsprachigen und der italienischsprachigen Schweiz.
- «Diffusionseffekt»: Die Intensität, mit der Mit-Umsetzungs-Instrumente genutzt werden, erhöht sich mit einer stärkeren Verbreitung von Co-Creation-Praktiken innerhalb der gleichen Arbeitsmarktregion.
Im Gegensatz dazu spielen die finanziellen Ressourcen der Gemeinde, gemessen am durchschnittlichen Nettoeinkommen, und die wahrgenommenen gesellschaftlichen Herausforderungen, mit denen eine Gemeinde konfrontiert ist, in unserer Analyse keine wesentliche Rolle.
Fazit
Die Auswertung zeigt, dass in ca. 60% der Schweizer Gemeinden die öffentliche Verwaltung oder öffentliche Organisationen bei der Leistungserbringung mit den Bürger:innen zusammenarbeiten. Dies geschieht vor allem bei der Entwicklung von öffentlichen Leistungen und weniger bei der Umsetzung und Bewertung. Während eine Befragung von Gemeindeschreiber:innnen zwar eher eine konservative Schätzung der Verbreitung von Co-Creation darstellt, weil derartige Projekt natürlich auch informell und ohne Kenntnis der lokalen Verwaltungsspitze durchgeführt werden, so ermöglicht der untersuchte Datensatz zumindest eine systematische Untersuchung der Unterschiede zwischen Gemeinden. Hier zeigt sich, dass vor allem die Grösse der Gemeinde, das Interesse der Bevölkerung an lokaler Politik und das regionale Umfeld eine wichtige Rolle bei der Frage der Nutzung von Co-Creation-Praktiken auf Gemeindeebene spielt. Weitere Untersuchungen müssen allerdings noch zeigen, unter welchen Bedingungen tatsächlich durchgeführte Co-Creation-Projekte am Ende auch die an sie gerichteten Erwartungen erfüllen. Denn nach wie vor ist unklar, ob in Co-Creation erstellte öffentliche Leistungen tatsächlich bessere Ergebnisse und eine höhere Effizienz erzielen.
Dr. Jörn Ege ist Dozent am Institut für Verwaltungs-Management (IVM) der ZHAW
Dr. Claire Kaiser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Verwaltungs-Management (IVM) der ZHAW
Quellen
Bovaird, T. & Loeffler, E. (2012). From Engagement to Co-production: The Contribution of Users and Communities to Outcomes and Public Value. VOLUNTAS: International Journal of Voluntary and Nonprofit Organizations, 23(4), 1119–1138. https://doi.org/10.1007/s11266-012-9309-6
Ladner, A., Steiner, R., Haus, A., Kaiser, C., Bernier, A., Keuffer, N. & Reichmuth, L. (2021). Dataset: Swiss Municipal Monitoring 1988-2017 / Schweizer Gemeindemonitoring 1988 bis 2017. https://doi.org/10.7910/DVN/OLM3QO
Nabatchi, T., Sancino, A. & Sicilia, M. (2017). Varieties of Participation in Public Services: The Who, When, and What of Coproduction. Public Administration Review, 77(5), 766–776. https://doi.org/10.1111/puar.12765
Peters, B. G. (2021). The Germanic Tradition. In B. G. Peters (Hrsg.), Administrative traditions: Understanding the roots of contemporary administrative behavior (S. 75–93). Oxford University Press. https://doi.org/10.1093/oso/9780198297253.003.0004