Governance

Steuerung von interkommunaler Zusammenarbeit durch die Exekutiven der Aargauer Gemeinden

Die Gemeinden des Kantons Aargau nehmen ihre Aufgabenerfüllungen seit Jahren zunehmend im Verbund mit anderen Gemeinden wahr. Sie haben viele verschiedene Organisationen der sogenannten Interkommunalen Zusammenarbeit gegründet. Diese Organisationen erledigen unterschiedliche Aufgaben für ihre Gemeinden, haben diverse Rechtsformen, sind verschieden gross und heterogen aufgebaut.

14.11.22


Ein Beitrag von Daniel Rohrer

Obwohl die Gemeinden die Aufgabenerfüllung an diese Organisationen ausgelagert haben, ist jeweils die Exekutive einer Gemeinde dafür verantwortlich, dass die Aufgaben im Sinn der eigenen Bevölkerung und der strategischen Ausrichtung der Gemeinde erledigt werden. Die Gemeinderäte müssen Einfluss nehmen auf die Interkommunalen Zusammenarbeiten.

Die Organisationen müssen von den beteiligten Gemeinden bzw. deren Exekutiven aktiv gesteuert werden. Jede einzelne Exekutive muss diese Herausforderung als Kollegialbehörde meistern. Die Vielfalt an Organisationen und die speziellen Anforderungen an eine Kollegialbehörde können bei der Steuerung der ausgelagerten Aufgabenerfüllung zu Prinzipal-Agenten-Problemen führen.

Einerseits können solche Probleme innerhalb der Exekutive bestehe, da diese im Normalfall eine Person aus den eigenen Reihen in ein Steuerungsgremium einer Interkommunalen Zusammenarbeit delegiert hat. Die Gesamtbehörde muss sich darauf verlassen können, dass die einzelnen Gemeinderatsmitglieder relevante Informationen bezüglich der Aufgabenerfüllung, des Finanzgebarens, den Risiken, usw. aus den Organisationen in deren Steuerungsgremien sie delegiert sind, an die Gesamtbehörde weitergeben, damit die Exekutive Handlungsbedarf rechtzeitig erkennen und allfällige Massnahmen ergreifen kann.

Die delegierte Person muss sich ihrerseits darauf verlassen können, dass die operativen Führungspersonen der Organisation alle wichtigen Informationen an die Führungsgremien weiter geben in denen sie für die Gemeinde Einsitz genommen haben. Jede tiefere Ebene in diesem komplexen Führungssystem hat automatisch mehr Informationen als die nächsthöhere Ebene. Somit kann durch selektive Weitergabe von Informationen ein Eigeninteresse verfolgt werden.

Dieser Gefahr von Prinzipal-Agenten-Problemen kann durch ein gutes, systematisches Berichtswesen und eine bewusste, aktive Steuerung der Organisationen der Interkommunalen Zusammenarbeiten entgegengewirkt werden. Das heisst, die Gemeinden müssten ein auf die eingegangenen Interkommunalen Zusammenarbeiten ausgerichtetes Controlling betreiben. Eine systematische, standardisierte Informationsbeschaffung ermöglicht einen zielgerichteten Management- bzw. Controlling Kreislauf.

Der Regelkreis des Controlling-Denkens (Thom & Ritz, 2017)

Mittels einer Online-Umfrage wurden bei den Aargauer Gemeinden im Frühling 2022 der aktuelle Stand zum Vorhandensein eines einfachen Berichtswesens, dem Umgang mit den Informationen und der aktiven Steuerung der Interkommunalen Zusammenarbeiten erhoben. 50 der 200 Gemeinden beantworteten die Fragen.

Die daraus resultierende Stichprobe kann als repräsentativ angesehen werden. Insbesondere die Verteilung der Gemeindegrössen im Kanton Aargau konnte damit gut abgebildet werden. Da grössere Gemeinden zum Teil in Form einer Interkommunalen Zusammenarbeit Leistungen für andere Gemeinden erbringen, war es wichtig, dass die Umfrageresultate bezüglich der Gemeindegrösse repräsentativ sind.

Die Umfrageergebnisse zeigen, dass im Kanton Aargau die Interkommunalen Zusammenarbeiten eher unsystematisch – d.h. fall- oder personenbezogen – beobachtet, kontrolliert und schlussendlich gesteuert werden. Von den 50 Gemeinden holen 21 systematisch von allen ihren Interkommunalen Zusammenarbeiten Geschäftsberichte ein. Die restlichen Gemeinden verlangen nur teilweise, d.h. unsystematisch Geschäftsberichte.

Immerhin legen 40 Gemeinden die vorliegenden Geschäftsberichte immer dem gesamten Gemeinderat zur Kenntnisnahme vor. 10 Gemeinden tun dies nur teilweise. In 33 Gemeinden, werden die vorgelegten Geschäftsberichte aktiv an der Gemeinderatssitzung besprochen. Nur in 2 Gemeinden wird dies immer gemacht.

Das heisst, die Berichte werden nicht nur in der Aktenauflage zu Kenntnis genommen. In 15 Gemeinden werden die Geschäftsberichte nie an der Gemeinderatssitzung besprochen. 7 Gemeinden haben offiziell und schriftlich geregelt, wie die Gemeinderatsmitglieder, die in ein Steuerungsgremium einer Interkommunale Zusammenarbeit delegiert sind, die Gesamtbehörde zu informieren haben.

In 27 Gemeinden ist die Informationspflicht informell geregelt. Alle anderen Gemeinden kennen keine Abmachungen dazu. Die Berichterstattung ist somit wenig bis gar nicht systematisiert. Die Kenntnisnahme von wichtigen Informationen wird den Exekutiven daher erschwert.

Die Umfrage wurde ausschliessliche von Gemeindeschreiber/innen oder ihren Stellvertretungen ausgefüllt. Auf die Frage, wie gut der gesamte Gemeinderat als Kollegialbehörde nach ihrer Einschätzung über die Geschäftstätigkeiten aller Interkommunalen Zusammenarbeiten informiert ist, haben 5 Gemeindeschreiber/innen mit «sehr gut», 25 mit «gut» und 19 mit «genügend» geantwortet.

Nur in einer Gemeinde sieht man eine ungenügende Informiertheit der Gesamtbehörde. Dieses Ergebnis erstaunt, wenn man die systematische Einholung von Geschäftsberichten und deren Besprechung als Grundlage für eine gute Informiertheit nimmt. Neben den Geschäftsberichten wäre weiterer, regelmässiger Informationsbedarf für eine aktive, zielgerichtete Steuerung der Interkommunalen Zusammenarbeiten zu erwarten.

Es wäre interessant im Rahmen einer weiteren Umfrage die Diskrepanz zwischen der aktuell implementierten Informationsbeschaffung und der Einschätzung bezüglich der Qualität der Informiertheit genauer zu analysieren. Was die bereits erhobenen Daten zeigen, ist, dass es eine Korrelation zwischen der Systematisierung des Berichtswesens und der Einschätzung zur Informiertheit der Exekutive gibt. Das zeigt, dass eine systematische, regelmässige Informationseinholung die Informiertheit der Kollegialbehörde verbessert.

Bei Verselbstständigungen von Gemeindebetrieben ist es seit Jahren üblich, dass Eignerstrategien von den Gemeinden erarbeitet und verabschiedet werden. Diese dienen als Grundlage für die strategische Steuerung der neu geschaffenen Beteiligungen (meist in Form einer Aktiengesellschaft). Die Aufgabenerfüllung dieser Organisationen wird durch Leistungsvereinbarungen definiert. Die Überprüfung der Leistungserbringung kann somit – losgelöst von der Eignerstrategie – an Fachabteilungen der Gemeinde delegiert werden.

Bei Interkommunalen Zusammenarbeiten, insbesondere bei Organisationen, die über eigenes Kapital verfügen, wie Gemeindeverbände, Aktiengesellschaften usw., macht es Sinn, wenn ebenfalls Eignerstrategien und Leistungsvereinbarungen erarbeitet und beschlossen wie auch abgeschlossen werden. Die 50 Gemeinden, die an der Umfrage teilgenommen haben, verfügen nicht systematisch über Eignerstrategien. In 16 Gemeinden gibt es teilweise Eignerstrategien für Interkommunale Zusammenarbeiten. In 34 Gemeinden gibt es überhaupt keine Eignerstrategien.

Wie zu erwarten war, sieht es bei den Leistungsvereinbarungen anders aus. 5 Gemeinden haben systematisch mit allen Interkommunalen Zusammenarbeiten Leistungsvereinbarungen abgeschlossen. Teilweise, d.h. mit ausgewählten Interkommunalen Zusammenarbeiten, haben 41 Gemeinden Leistungsvereinbarungen. Nur 4 Gemeinden haben überhaupt keine Leistungsvereinbarungen.

Das Einholen von relevanten Informationen, die Prüfung der Aufgabenerfüllung, das Erkennen von Risiken und die gemeinsame, aktive Einflussnahme auf die Geschäftsleitung der Interkommunalen Zusammenarbeit kann eine Exekutive auch über regelmässige Gespräche mit jeder Geschäftsleitung der Interkommunalen Zusammenarbeiten sicherstellen.

Wiederum 5 Gemeinden organisieren regelmässig solche Gespräche zwischen der gesamten Exekutive und den Geschäftsleitungen der Interkommunalen Zusammenarbeiten. In 22 Gemeinden finden solche regelmässigen Gespräche nur mit ausgewählten Organisationen statt. In weiteren 18 Gemeinden werden Besprechungen nur bei «Notfällen» organisiert. Gar nie werden solche Gespräche in 5 Gemeinden geführt. Die Steuerung der Interkommunalen Zusammenarbeiten über regelmässige Gespräche mit den Geschäftsleitungen ist somit eher unsystematisch.

Besser überwacht und aktiver gesteuert werden gemäss Umfrageergebnis Organisationen, die jährlich hohe Betriebsbeiträge von der Gemeinde benötigen, deren Leistungserbringung (z.Bsp. Sicherheitsleistungen) für den gesamten Gemeinderat wichtig ist oder an deren Leistungen die Öffentlichkeit Interesse zeigt. Der Anteil der Gemeinde am finanziellen Vermögen der Interkommunalen Zusammenarbeit interessiert dagegen beispielsweise weniger.

Insbesondere Gemeindeverbände mit Aufgaben, die eine grosse, teure Infrastruktur bedingen, z.B. eine Kläranlage, haben bei einer schlechten Geschäftsführung finanzielle Risiken, die erst in der Zukunft schlagend werden können. Aufgrund der Umfrageergebnisse ist anzunehmen, dass diese Risiken bisher nur bedingt überwacht und aktiv, d.h. langfristig, strategisch gesteuert werden.

Grundsätzlich gibt es gemäss den Umfrageresultaten einen Zusammenhang zwischen der Systematisierung des Berichtswesens, d.h. der Informationsbeschaffung und -verarbeitung, der Informiertheit der gesamten Exekutive zu den Tätigkeiten der Interkommunalen Zusammenarbeiten und der aktiveren Steuerung deren Leistungserbringung.

Es empfiehlt sich daher für alle Gemeinden, dass sich dem Thema „Steuerung von Interkommunalen Zusammenarbeiten“ stärker annehmen und insbesondere ihr Berichtswesen über diese Organisationen ausbauen, systematisieren und auswerten. Damit können die Gemeinden langfristig die Herausforderungen einer Organisation, die viele Aufgabenerfüllungen ausgelagert hat und daher wie eine Art „Konzern“ zu führen ist, meistern.

Quelle:

Thom, N., & Ritz, A. (2017). Public Management – Innovative Konzepte zur Führung im öffentlichen Sektor. 5. Auflage. Wiesbaden: Springer Gabler.