Digitalisierung
Was denken Amtsleiterinnen und Amtsleiter über die Einführung von Big Data?
Nasenrümpfer, Entwicklerin oder bereits Champion? Die Einführung von Big Data wurde im öffentlichen Sektor stark vorangetrieben. Nicht alle sehen diese Entwicklung positiv. Die Autoren präsentieren erste Erkenntnisse zu den unterschiedlichen Haltungen von Amtsleiterinnen und Amtsleiter hinsichtlich Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung.
Ein Beitrag von Ali A. Guenduez, Tobias Mettler und Kuno Schedler
Ziel der Studie
In den letzten Jahren haben Technologiefirmen die Einführung von Big Data im öffentlichen Sektor stark vorangetrieben und Verbesserungen für die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Regierung versprochen. Begriffliche Unklarheiten und eine begrenzte Anzahl beobachtbarer Anwendungsfälle haben jedoch zu Verwirrung und Unsicherheit geführt.
In der durchgeführten Studie gehen wir der Frage nach, wie Schweizer Amtsleiterinnen und Amtsleiter die Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Die Relevanz dieser Fragestellung ergibt sich dabei aus der Tatsache, dass Amtsleiterinnen und Amtsleiter eine Schlüsselrolle in der Beeinflussung des Verhaltens von Beamten wie auch der Öffentlichkeit spielen. Sie können die politische Agenda nachhaltig zugunsten oder zuwider der Nutzung von Big Data gestalten.
Es ist essentiell, die Grundhaltung der Mitarbeitenden sowie der Bevölkerung in Bezug auf die Nutzung von Big Data zu kennen, um eine effektive Kommunikation und eine Umsetzung dieser ermöglichen zu können.
Meinungsbilder zur Big Data Nutzung in der öffentlichen Verwaltung
Für die Identifikation der verschiedenen Meinungsbilder haben wir in einem ersten Schritt mit über 30 Expertinnen und Experten Gespräche durchgeführt. Auf Basis dieser Experteninterviews wurde ein differenzierter Fragebogen entwickelt, welcher in einem zweiten Schritt an 250 Schweizer Amtsleiterinnen und Amtsleiter verschickt wurde.
Die Auswertung dieser Fragebögen hat gezeigt, dass unter den Schweizer Amtsleiterinnen und Amtsleitern eine Vielfalt an technologischen Sichtweisen herrscht. Während einige Entscheidungsträger eine klar positive oder negative Wahrnehmung von Big Data haben, bilden andere komplexere und differenziertere Denkmuster.
Wir haben neun verschiedene Meinungsbilder identifiziert, die je einen spezifischen Standpunkt zur Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung darstellen. Im Folgenden werden die wichtigsten Faktoren, die jedes dieser neun Meinungsbilder charakterisieren, kurz beschrieben.
Die Nasenrümpfer
Die Amtsleiterinnen und Amtsleiter dieser Gruppe stehen der Nutzung von Big Data skeptisch gegenüber. In Frage gestellt wird vor allem der Nutzen für die Öffentlichkeit. Betont werden die Gefahren für die Privatsphäre der Bürger. Sie sehen daher keinen Handlungsbedarf für die öffentliche Verwaltung. Angesichts der aus ihrer Sicht hohen Risiken und dem geringen Nutzen von Big Data wird in dieser Gruppe die Meinung vertreten, dass die Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung kein Entwicklungspotential hat.
Die Zyniker
Die Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung wird in dieser Gruppe ebenfalls kritisch betrachtet. Der Fokus liegt dabei vor allem auf verwaltungsinternen Prozessen und Strukturen. Zum einen sind sie der Überzeugung, dass die Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung keine grossen Veränderungen bewirken wird. Zum anderen vertreten sie die Ansicht, dass bis dato das Verständnis für Big Data und das technische Know-how für eine erfolgreiche Einführung in der Verwaltung fehlt. Erst wenn die notwendigen Voraussetzungen geschaffen sind, kann Big Data positiv eingesetzt werden.
Die positiven Realisten
Diese Gruppe ist sich dem Potential bewusst, das Big Data in der Verwaltung entfalten könnte. Man weiss aber auch, dass man erst am Anfang steht. Die Amtsleiterinnen und Amtsleiter, die dieser Gruppe angehören, teilen die Überzeugung, dass die Verwaltung die Umsetzung aus eigener Kraft schaffen kann. Sollte Big Data eingeführt werden, müssen hohe Anforderungen hinsichtlich des Umgangs mit Daten definiert werden. Tiefgreifende Veränderungen werden jedoch sowohl für die Verwaltung selbst wie auch für die externen Anspruchsgruppen nicht erwartet.
Die Champions
Die Champions erkennen die Vorteile, die sich aus der Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung ergeben – dies sowohl verwaltungsintern wie auch -extern. Amtsleiterinnen und Amtsleiter in dieser Gruppe glauben an die Fähigkeit der Verwaltung, Big Data aus eigener Kraft einführen zu können. Entwicklungsbedarf sehen sie in der politischen und administrativen Führungsebene sowie in der Vorbereitung der institutionellen Rahmenbedingungen (Recht und Politik).
Die Entwickler
Sie sehen klare Vorteile in der Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung und weisen den Vorwurf – die Verwaltung stelle sich grundsätzlich gegen Big Data – entschieden ab. Grosses Potential sehen die Entwickler vor allem für die verwaltungsinternen Prozesse und Abläufe. Gleichwohl vertritt diese Gruppe die Ansicht, dass seitens der Verwaltung grosser Aufholungsbedarf besteht, vor allem in der Entwicklung und dem Aufbau von Berufsbildern, technischem Knowhow und Führungsinstrumenten ist die Verwaltung noch steigerungsfähig. Der rechtliche Rahmen stellt dabei kein Hindernis für eine erfolgreiche Einführung dar.
Die Bürokraten
Die defizitären Grundvoraussetzungen der Verwaltung werden von den Bürokraten mit schonungsloser analytischer Offenheit beurteilt. Die Verwaltung könnte Big Data gut einführen, wenn die Verwaltungsorganisation die Grundvoraussetzungen schaffen würde. Der Fokus ist dabei intern ausgerichtet. Es geht um die Einführung der Technologie innerhalb der Verwaltung. Die Bürokraten glauben nicht, dass sich aus Big Data eine fundamentale Öffnung der Verwaltung ergibt. Ihrer Ansicht nach wird die Öffentlichkeit von der Nutzung von Big Data in der Verwaltung nichts spüren.
Die Dienstleister
Die Dienstleister sehen der Einführung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung positiv entgegen. Sie sehen den Nutzen insbesondere in der schnellen Erbringung von Dienstleistungen gegenüber den Anspruchsgruppen. Dabei werden nicht nur die Bürger, sondern auch die Privatwirtschaft miteinbezogen. So können beispielsweise durch die Nutzung von Big Data innovative Bedingungen für Startups geschaffen werden, was sich positiv auf den Standortwettbewerb auswirkt. Gesamthaft herrscht die Überzeugung, dass die Verwaltung Big Data einführen kann und möchte. Jedoch müssen die politischen Entscheidungsträger die dafür notwendigen Ressourcen bereitstellen.
Die Zuschauer
Ihr Fokus liegt auf der breiten Bevölkerung. Sie halten Big Data zwar für sinnvoll, kritisieren allerdings die institutionellen und organisationalen Hindernisse, die eine sinnvolle Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung erschweren. Bemängelt wird vor allem die Haltung von politischen Entscheidungsträgern, welche diese Barrieren nicht aus dem Weg räumen. Die Gruppe der Zuschauer teilt die Überzeugung, dass nicht die Verwaltung für die fehlende Umsetzung verantwortlich ist. Insgesamt herrscht eine eher passive und distanzierte Grundhaltung vor.
Die Phlegmatiker
Die Phlegmatiker stehen der Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung kritisch gegenüber und glauben an keine tiefgreifenden Veränderungen. Der Nutzen von Big Data wird sowohl verwaltungsintern wie auch -extern als überbewertet wahrgenommen. Daher sehen sie keinen Handlungsbedarf. Zudem schätzen die Amtsleiterinnen und Amtsleiter dieser Gruppe die Verwaltung als technisch und kulturell schlecht auf Big Data vorbereitet ein und weisen auf den fehlenden politischen Willen wie auch die fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen hin.
Insgesamt zeigt unsere Studie ein vielfältiges Bild unterschiedlicher Meinungsbilder in Bezug auf die Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung. Da die Kategorisierung in die neun verschiedenen Gruppen sehr komplex ist, können diese zur Vereinfachung und Klarheit auf zwei Dimensionen abgebildet werden (siehe Grafik).
Die x-Achse bezeichnet dabei den Grad der Offenheit gegenüber technologischen Innovationen und Big Data. Die y-Achse verdeutlicht, ob sich der Fokus der Amtsleiterinnen und Amtsleiter intern ausrichtet – und damit auf den Nutzen und die Gefahren von Big Data innerhalb der öffentlichen Verwaltung – oder extern über die eigenen organisatorischen Grenzen und Zusammenhänge hinweg.
Was können wir aus diesen Ergebnissen schliessen?
Die Nutzung grosser Datenmengen in der öffentlichen Verwaltung steht noch am Anfang. Regierungsorganisationen befinden sich in einer Orientierungs- oder Konzentrationsphase. So auch die öffentliche Verwaltung in der Schweiz, die den empirischen Kontext unserer Studie bildete. Wir untersuchten die Wahrnehmungen, Erwartungen und Überzeugungen der Schweizer Amtsleiterinnen und Amtsleiter in Bezug auf die Verwendung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung. Diese sind für den erfolgreichen Einsatz von Big Data Technologien entscheidend. Denn Innovation kann ohne den Willen der Entscheidungsträger gar nicht oder nur auf Umwegen geschehen.
Unsere Ergebnisse zeigen ein sehr heterogenes Bild Schweizer Amtsleiterinnen und Amtsleiter. Sie zeigen ein Bild unterschiedlicher Wahrnehmung, Erwartung und Vorstellung in Bezug auf die Verwendung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung. Eine Minderheit der Amtsleiterinnen und Amtsleiter erkennt das Potential, das in der Nutzung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung steckt, dennoch sind sie sich möglicher Gefahren bewusst. Diesen potentiellen Befürwortern steht eine nicht zu unterschätzende Menge an potentiellen Gegnern gegenüber, die grössere Bedenken äussern.
Will nun die öffentliche Verwaltung von den Vorteilen dieser Technologie profitieren und sie in den Dienst der Bevölkerung und der Verwaltung stellen, müssen die vorherrschenden Ängste ernst genommen und in der öffentlichen Debatte gelöst werden. Auf diese Weise können etwaige Enttäuschungen in der Verwaltung verhindert und Amtsleiterinnen und Amtsleitern die Gelegenheit geboten werden, frühzeitig möglichem Widerstand entgegenzuwirken. Insofern können die Ergebnisse unserer Studie die Rolle eines Frühwarnsystems übernehmen. Sie zeigen die Schwierigkeiten auf, die bei einer Einführung von Big Data in der öffentlichen Verwaltung entstehen können. Zudem kann die Entwicklung eines differenziertenVerständnissen von Big Data rechtzeitig unterstützt und gefördert werden.Was denken Amtsleiterinnen und Amtsleiter über die Einführung von Big Data? (PDF)
Dr. Ali Asker Guenduez, Leiter Smart Government Lab (IMP-HSG)
Prof. Dr. Tobias Mettler, Professor für Information Management (IDHEAP-Universität Lausanne)
Prof. Dr. Kuno Schedler, Professor für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Public Management (IMP-HSG)
Kontakt: Dr. Ali A. Guenduez, Smart Government Lab (IMP-HSG), Universität St. Gallen, Tel: +41 71 224 28 52, Email: [email protected]